Heute: Gewalt unter der Geburt von Christina Mundlos
Wenn Frau an die Geburt denkt, denkt sie neben einem einmaligen und unvergleichlichen Erlebnis, oftmals auch an Schmerzen unter der Geburt, hat Respekt davor, ggf. auch tiefgehende Ängste. Gerade für Erstgebärende ist es daher wichtig, sich gut vorzubereiten, frühzeitig eine Hebamme zu suchen, sich für einen Geburtsort zu entscheiden, sich Wünsche und Vorstellungen rund um die Geburt bewusst zu werden und diese ggf. in Form eines Geburtsplans zu formulieren. Kurse zur Geburtsvorbereitung werden besucht, vielleicht auch ein Hypnobirthingkurs, um die Schmerzen zu bändigen und gemeinsam mit der Hebamme, Doula oder auch dem Krankenhauspersonal werden vorbereitende Gespräche geführt. Bei all diesen Geburtsvorbereitungen, wird jedoch oftmals ein Aspekt wenig ins Auge gefasst: Gewalt unter der Geburt. Mit diesem Aspekt beschäftigt sich Christina Mundlos in ihrem Buch „Gewalt unter der Geburt“ – Der alltägliche Skandal.
Doch was bedeutet Gewalt? Es gibt physische und psychische Gewalt, die bewusst oder unbewusst angewendet wird. Bei beiden Varianten können die Betroffenen bei der selben „Gewalttat“ einen unterschiedlichen Grad empfinden. So wie jeder Mensch anders ist und empfindet, so unterschiedlich stark empfindet er auch Schmerz physischer oder psychischer Gewalt. Detailliert geht Christina Mundlos auf die Frage nach einer Definition für Gewalt ein und nennt Beispiele für psychische und physische Gewalttaten während der Geburt.
„Frauen werden geschwächt, ihre Rechte nicht akzeptiert und kommuniziert, es wird sich über ihre körperliche und psychische Freiheit und Integrität gewaltsam hinweggesetzt. …die (Gewalt unter der Geburt) verletzt die Menschenrechte der Gebärenden (und der Neugeborenen)“ [Seite 32].
Hier erläutert sie Beispiele für Gewaltanwendungen, wie z.B.
- DauerCTG
- Einleitung
- manuelle Öffnung der Fruchtblase
- Dammschnitt
- Kaiserschnitt
- Anästhesien
- Kristeller Handgriff
u.v.m.
Mit jedem Eingriff kommen weitere Eingriffe hinzu, denen die werdende Mutter sich aussetzen muss und die finanzielle Vorteile für die Klinik mit sich bringen. Diese Eingriffe „dürfen nicht durchgeführt werden ohne, das eine Indikation vorliegt, die Patientin über ihre Rechte aufgeklärt wurde, gegen den erklärten Willen der Patientin bzw. ohne deren Zustimmung“ schreibt Mundlos.
Das Problem ist, dass mit all diesen Eingriffen die werdende Mutter ihre Selbstsicherheit, ihr Körpergefühl, ihr Selbstvertrauen mehr und mehr verliert und diese gegen die vermeintlich medizinische Sicherheit tauscht oder tauschen muss.
Doch aus welchen Gründen kann es zu Gewalt unter der Geburt kommen?
Eine Geburt braucht Zeit. Zeit der Mutter um die Phasen der Geburt möglichst gut zu durchleben, Zeit für das Baby um sich durch den Geburtskanal zu arbeiten und Zeit des betreuenden Personals, um sich auf die Mutter und ihren Geburtsprozess konzentrieren zu können. Wie viel Zeit dies individuell sein wird, kann niemand vorhersehen.
Werdende Eltern haben keinen Einblick in die Strukturen einer Geburtsstation, des Geburtshauses, sehen den Druck und Stress von dem medizinischen Personal nicht, haben keine Vorstellung darüber welche finanziellen Anreize bestimmte Interventionen im Vergleich zu einer interventionsfreien Geburt für die Kliniken bestehen, machen sich keine Gedanken über bestehende Hierarchien und damit einhergehende Entscheidungen, die direkten Einfluss auf den Geburtsverlauf haben können. Vertrauensvoll gehen werdende Eltern davon aus, dass alle Begleiter rund um die Geburt, das Bestmögliche für sie wollen, alles tun, damit die Geburt entsprechend der Vorstellungen der werdenden Eltern, vor allem der Mutter, verläuft.
Auf diese und andere Aspekte geht Mundlos im Kapitel Hintergründe ausführlich ein und berichtet am Ende des Buches über Folgen für die Familie und Konsequenzen, die daraus folgen sollten. Ein wichtiger Verweis auf die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zur normalen Geburt rundet dies ab.
Prinzipiell gehen diese WHO – Empfehlungen davon aus,
- dass jede Frau ein grundlegendes Recht auf eine umfassende Betreuung in der Schwangerschaft hat.
- dass sie bei allen Aspekten dieser Betreuung im Mittelpunkt steht und an der Planung, Durchführung und Beurteilung der Vorsorgemaßnahmen teilnimmt.
- dass neben der medizinischen Vorsorge soziale, emotionale und psychische Faktoren entscheidend sind für eine umfassende Betreuung in der Schwangerschaft.
Die Empfehlungen im Wortlaut:
- Die gesamte Öffentlichkeit sollte über die verschiedenen Verfahren der Geburtshilfe informiert sein, damit es jeder Frau möglich ist, die für sie richtige Art und Weise der Geburtshilfe zu finden.
- Die Ausbildung der Hebammen und aller Berufsgruppen, die die Frau und das Kind rund um die Geburt betreuen, müssen gefördert werden. Die Betreuung einer normalen Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett gehört zum Aufgabenbereich der Hebammen und der angrenzenden Berufe.
- Alle Krankenhäuser sollten den schwangeren Frauen Informationen über die von ihnen praktizierte Geburtshilfe (z.B. die Höhe ihrer Kaiserschnittrate) frei zugänglich machen.
- Es gibt keinerlei Rechtfertigung für eine Kaiserschnittrate über 10 bis 15 %.
- Einmal Kaiserschnitt muß nicht für alle folgenden Geburten auch Kaiserschnitt bedeuten. Nach einer solchen Operation, bei der die Gebärmutter an einer tiefliegenden Stelle geöffnet wurde, kann eine vaginale Entbindung angestrebt werden, wenn im Notfall schnell ein Eingriff durchgeführt werden kann.
- Es gibt keine Beweise dafür, daß routinemäßige elektronische Dauerüberwachung der kindlichen Herztöne einen positiven Einfluß auf den Ausgang der Geburt hat.
- Für eine Rasur der Schamhaare oder einen Einlauf vor der Geburt besteht kein Anlaß.
- Während der Wehentätigkeit sollten schwangere Frauen nicht auf dem Rücken liegen. Sie sollten angeregt werden, während der Wehen herumzulaufen und sich frei zu entscheiden, in welcher Position sie gebären möchten.
- Routinemäßige Dammschnitte sind nicht zu rechtfertigen.
- Geburtseinleitungen sollte nicht aus Bequemlichkeit stattfinden. Verabreichung von Wehenmitteln sollte nur nach strenger medizinischer Indikation erfolgen.
- Schmerzstillende und betäubende Medikamente sollten nicht routinemäßig, sondern nur zur Behandlung oder Verhütung einer Geburtskomplikation eingesetzt werden.
- Für eine frühzeitige Eröffnung der Fruchtblase als Routineeingriff gibt es keine wissenschaftliche Begründung.
- Das gesunde Neugeborene gehört zu seiner Mutter, wenn es der Zustand von beiden erlaubt. Die Beobachtung des Kindes rechtfertigt nicht die Trennung von der Mutter.
- Nach der Geburt sollte der Mutter möglichst bald Gelegenheit zum Stillen gegeben werden.
- Geburtshilfliche Einrichtungen, die mit dem Einsatz von Technik kritisch umgehen und emotionale, psychische und soziale Aspekte in den Vordergrund stellen, sollten bekannt gemacht werden. Diese Projekte sollten gefördert werden, um als Modelle für andere geburtshilfliche Einrichtungen zu dienen und die Einstellung zur Geburtshilfe in der Öffentlichkeit zu verändern.
- Regierungen sollten über die Schaffung von Bestimmungen nachdenken, die den Einsatz neuer Geburtstechnologien nur nach angemessener Prüfung erlauben.
Dies zu lesen und sich zu vergegenwärtigen, ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer normalen und selbstbestimmten Geburt.
Traurig und erschreckend sind die im Buch enthaltenen Erfahrungsberichte von Müttern oder auch Hebammenschülerinnen, welche dem ganzen Thema die Realität nahebringen. So erschreckend dies ist, so wichtig ist, dass sich diese Betroffenen äußern, denn
„Wenn die Gewalt weder von den Betroffenen noch von den ZeugInnen angeprangert wird und die TäterInnen keine negativen Konsequenzen zu fürchten haben, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit von Gewaltanwendungen.“ [Seite 35]
Zusammenfassend können wir sagen, dass uns das Buch sehr beeindruckt hat, uns vieles klarer hat sehen lassen, uns sensibilisiert für die Beratung von Müttern im Hinblick auf Selbstbestimmung und mögliche unerwünschte Aktionen und Anwendungen während der Geburt, Vorbereitung durch vorsichtige Thematisierung- nicht Verunsicherung- und wir dieses allen Interessierten nur ans Herz legen können.
Für eine selbstbestimmte und gewaltfreie Geburt.
Wer sich das Buch kaufen möchte, kann dies gerne hier tun. Wir erhalten dann wenige Cent als Provision.
Wer Christina Mundlos live erleben und sich über das Thema mehr informieren möchte kann bei der ENCA Fachtagung Gewalt in der Geburtshilfe in Berlin mehr erfahren und sich austauschen.
Das Buch wurde uns freundlicherweise von www.buchcontact.de als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
Bildquelle: © Photographee.eu, fotolia
Recent Comments