Wie und warum wage ich mich an die eigene Geburtsgeschichte, wenn die Geburt nichts besonderes war?

Keine Geburt ist „normal“

„Ach, die Geburt meines Kindes war nichts Besonderes. Eine ganz normale Geburt. Ich wüsste gar nicht, was ich da groß erzählen sollte.“

Kommt dir dieser Satz bekannt vor? Gehörst du auch zu den Frauen, die eine ganz normale Geburt hatten und deshalb eigentlich auch gar nichts zu erzählen haben?

Auch deine Geburtserfahrung hat eine Berechtigung, erzählt zu werden. Jede Geburtserfahrung ist einzigartig. Wenn du bereits mehrere Kinder zur Welt gebracht hast, weißt du vielleicht, dass selbst dieselbe Frau jede einzelne Geburt anders erlebt.

Falls deine Geburt in all ihren Feinheiten genau der Durchschnittsgeburt entspricht, ist das eine absolute Ausnahme. Dauer, Ort, Uhrzeit, Geburtsverletzungen, Position bei der Geburt, Medikamentengabe, Begleitung – all das sind bereits objektive Unterscheidungsmerkmale zwischen deiner Geburtserfahrung und denjenigen anderer Frauen.

Dazu kommt dann allerdings noch die viel persönlichere Ebene: Wie hast du die einzelnen Phasen erlebt? Ging es dir gut, als du allein warst? Oder hättest du dir Begleitung gewünscht? Wolltest du die Menschen um dich herum zum Mond schießen oder sie umarmen oder abwechselnd beides?

An welche kleinen Besonderheiten erinnerst du dich aus der Zeit? Was waren die ersten Anzeichen für die beginnende Geburt und wie fühltest du dich, als feststand: Nun kommt unser Baby zur Welt?

Erzähl mir von der Geburt deines Kindes!

Könntest du eine ganze Stunde lang von der Geburt deines Kindes erzählen?

Klar könntest du! Denn im Kern ist es nicht so, dass du nichts zu erzählen hättest. Vielmehr geht es darum, dass du nicht weißt, wem du es erzählen sollst. Oder vielleicht hast du bereits die Erfahrung gemacht, dass andere Menschen gar nicht so genau wissen wollen, wie das denn nun war, als deine Fruchtblase platzte. Wie viel Ehrlichkeit darfst du in deine Worte legen? Was könnte dir übel genommen werden? Und inwieweit willst du eine „Norm“, ein sozial erwünschtes Ergebnis vermitteln?

Jede Geburtserfahrung füllt dicke eine Stunde Gesprächszeit. Jede Geburtserfahrung füllt mehrere Seiten Papier. Ich schreibe für andere Frauen Geburtsgeschichten auf. Noch keine Frau kam mit der Stunde aus. Manchmal wissen wir nur einfach nicht, wo wir anfangen sollen. Für diesen Fall habe ich eine Checkliste geschrieben. Sie listet auf zehn Seiten auf, welche Fragen du dir beantworten kannst, um deine Geburtserfahrung aufzuschreiben. Diese Liste kann dir helfen, einen Startpunkt zu finden. Wenn du erstmal diesen Startpunkt gefunden hast, werden dir immer mehr Details einfallen. Je mehr wir unsere Erinnerungen ans Tageslicht lassen, desto mehr Details fallen uns ein.

Warum sollte ich mein Geburtserlebnis aufschreiben?

„Okay, dann ist eben jede Geburt unterschiedlich. Aber warum genau sollte ich meine Geburtserfahrung aufschreiben?“

Die Geburt eines Kindes verändert uns. Egal, ob es eine wunderbare oder eine normale oder eine traumatische Geburt war. Es ist ein einschneidendes Erlebnis. Wie genau uns diese Erfahrung verändert, wird häufig erst später deutlich: Wenn wir sie nochmals von vorne bis hinten erzählen. Wenn wir merken, was für uns wichtig war und welche Details uns im Kopf bleiben.

Deine Geburtserfahrung aufzuschreiben ist ein einmaliges Geschenk. Es kann ein Geschenk an dein Kind sein, wenn du das möchtest. Unabhängig davon ist es ein Geschenk an dich selbst. Deine Erfahrung ist einmalig und beeinflusst dich. Eine „ganz normale Geburt“ hat genauso großen Einfluss auf dich wie eine orgasmische Geburt oder ein Kaiserschnitt oder eine ungeplante Alleingeburt. Der Einfluss mag subtiler sein. Er ist da.

Falls du vorhast, ein weiteres Kind zur Welt zu bringen, wird deine bisherige Geburtserfahrung dich prägen. Das heißt nicht, dass sich alles genauso wiederholen wird. Im Gegenteil: Manche Erfahrungen machen wir, um danach das genaue Gegenteil zu erleben. Wenn du dir bewusst gemacht hast, was bei bisherigen Geburtserfahrungen ausschlaggebend war, kannst du diese Situationen bewusster angehen. Dafür ist es aber wichtig, die Geburt nochmals durchzugehen. Wenn du sie aufgeschrieben hast, kannst du sie immer wieder lesen. Du kannst dich auf verschiedene Aspekte fokussieren und merkst, wie einzigartig deine Geburtserfahrung nun doch war.

Es ist Zeit, die du investierst. Zeit, die du auch anders verbringen könntest. Erst Recht, wenn deine Geburt „normal“ verlaufen ist. Und wenn dann noch der Alltag mit kleinen Kindern dazu kommt, in dem du kaum Ruhe findest, um wenigstens die Einkaufsliste zu schreiben — wie sollst du denn da bitte auch noch deine Geburtserfahrungen aufschreiben!?

Du hast Recht. Es ist schwierig. Es ist Zeitaufwand. Es ist auch Aufwand in Bezug auf Layout, Lektorat und das Einbinden von Fotos, falls du sie verschenken willst. Falls du das Gefühl hast, deine Geschichte aufschreiben zu wollen, aber dabei Unterstützung brauchst, bist du bei mir richtig. Ich schreibe für Frauen ihre Geschichten. Denn jede Geburtsgeschichte ist es wert, aufgeschrieben und erzählt zu werden.

Eine Geburtsgeschichte ist mehr als der medizinische Bericht. Damit meine ich nicht nur, dass eine Geschichte aus ausformulierten Sätzen besteht. Ich meine damit auch, dass der medizinische Bericht nicht deine Sichtweise darstellt. Er ist geschrieben vom medizinischen Personal. Er gibt die Außensicht der Dinge wieder. Die Innensicht kannst nur du erzählen. Nur du weißt, wie du dich gefühlt hast. Nur du kannst dich an vermeintliche Kleinigkeiten erinnern. Nur du kannst genau deine Geschichte erzählen. Nur du kennst deine persönliche Wahrheit. Lass sie dir nicht von anderen nehmen.

Mach dir einen Eindruck davon, wie individuell deine Geburtserfahrung war. Lade hier [Link] meine Impulsfragenliste herunter. Du wirst merken: Keine Geburt ist genau im Durchschnitt. Jede Geburt ist individuell und jede Frau ist es wert, genau diese Erfahrung aufzuschreiben.

Über Katharina

Katharina Tolle ist Mama dreier Wuselkinder und eines Sternenkindes. Sie schreibt auf ihrem Blog Ich Gebäre über selbstbestimmte Geburten und unterstützt Frauen dabei, ihre Geburtsgeschichte genau so aufzuschreiben, wie sie sie erlebt haben. Denn je mehr Frauen ihre Geschichte erzählen, desto selbstbestimmter können wir unsere Entscheidungen treffen. Wenn du magst, lade dir hier ihre Liste mit Impulsfragen zum Aufschreiben deiner Geburtsgeschichte herunter.