Für jede Familie ist die Geburt eines Kindes ein ganz besonderes Ereignis. Leider bedeutet das nicht immer nur Glück und Freude. Eine Geburt kann nicht nur bewegend oder einschneidend sondern auch traumatisch sein. Wir haben uns mit der Traumatherapeutin Stefanie Schau darüber unterhalten, was man tun kann, um eine solche traumatische Geburt aufzuarbeiten.
Überwältigend ist die Geburt für die meisten Frauen. Woher aber weiß ich, dass ich ein Geburtstrauma habe und wie grenzt sich das von der „normalen“ Überwältigung ab?
Ja, die Geburt eines Kindes ist für die meisten Frauen ein bewegendes Erlebnis. Verschiedene Faktoren können aber dazu führen, dass die Frau diese Erfahrung als überwältigend empfindet. Sie war mit Gefühlen von Ohnmacht und Kontrollverlust konfrontiert und ihr Selbst- und Weltbild sind ins Wanken geraten. Das zeigt sich zum Beispiel durch starke Selbstzweifel, Schuld- oder Schamgefühle.
Nicht jedes traumatische Erlebnis führt zur Traumatisierung. Verfügt die Frau über gute Bewältigungsstrategien und erfährt sie zudem positive soziale Unterstützung, so kann das Erlebte gut verarbeitet werden.
Die gesunde Traumaheilung durchläuft verschiedene Stufen. So gehen die Phasen des Aufschreis, der Vermeidung und der wiederkehrenden Erinnerungszustände über in Phasen der Verarbeitung und Integration. Das Erlebte kann dann abgeschlossen und in die Lebensgeschichte eingeordnet werden. Diese Phasen der Auseinandersetzung und des Vermeidens verlaufen nicht linear, sondern sie wechseln sich miteinander ab. Solange die innere Auseinandersetzung nicht abgeschlossen ist, wird es sich vermutlich so anfühlen, als wäre die Erfahrung noch nicht vorüber. Die gelungene Verarbeitung versetzt die Frau in die Lage zu sagen: Was mir passiert ist war schlimm, es hat mein Leben tiefgreifend beeinflußt, aber jetzt ist es vorbei. Sie kann in der Gegenwart neue positive Erfahrungen machen und Gefühle von Vertrauen neu aufbauen. Ein gelungener Verarbeitungsprozeß ist eine Wachstumschance. Wer aus eigener Kraft den Weg aus der Krise geschafft hat, geht daraus gestärkt vor. Das kann einige Wochen bis Monate dauern.
Dabei kann es zu verschiedenen Begleiterscheinungen kommen: zum Beispiel intensive Gefühle von Angst und Wut, Scham und Schuld, erhöhte Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, sozialer Rückzug, plötzliches Wiedererleben der traumatischen Situation, Albträume, häufiges Grübeln über die Geburtssituation, Erinnerungslücken oder ein Fremdheitsgefühl im eigenen Körper, das auf die Geburt zurückzuführen ist. Diese Erfahrungen mögen unangenehm sein, aber sie ermöglichen es, daß das Trauma schnellstmöglichst verarbeitet werden kann. Sie bedeuten nicht, dass die Frau verrückt oder krank ist. Im Gegenteil: Ihr System ist hoch funktional.
Therapeutische Begleitung ist sinnvoll, wenn der natürliche Verlauf der Traumaverarbeitung sehr intensiv verläuft oder blockiert ist und sozialer Rückzug, Interessenverlust und Antriebsmangel weiter anhalten.
Was kann ich alleine tun um eine traumatische Geburt zu verarbeiten und ab wann sollte ich mir Hilfe holen?
Traumatische Erfahrungen können verarbeitet werden, wenn man realisiert was passiert ist, die Verluste angemessen betrauert und im Hier und Jetzt neue positive Erfahrungen machen kann. Das braucht Zeit und einen geschützten Raum. Alles was stabilisiert ist gut: außreichend Schlaf, gutes Essen und Trinken, Bewegung, frische Luft, soziale Ressourcen und die Fähigkeit, sich Hilfe zu holen. Gefühle von Wut und Angst wollen ausgedrückt werden, z.B. durch Sprache, durch den Körper oder durch Kreativität. Besonders wichtig sind gute Beziehungen: Menschen, die Sicherheit ausstrahlen. Jemand mit dem die Frau über ihre Gefühle sprechen kann, jemand der im Haushalt aushilft oder der der Frau das Kind für ein paar Stunden abnimmt, damit sie Zeit für sich hat und neue Kraft sammeln kann.
Wie oben schon erwähnt ist therapeutische Hilfe dann ratsam, wenn der Prozeß lange anhält oder als überwältigend empfunden wird.
Wie läuft eine solche Trauma-Therapie ab?
Eine natürliche Traumaverarbeitung setzt voraus, daß die betroffene Person über außreichend Stabilität und Energie verfügt, um das belastende Material anzunehmen. Therapie kann als Unterstützung des natürlichen Verlaufs verstanden werden. Deshalb ist ein wichtiger Schwerpunkt in der Therapie die Stabilisierung, die sich durch den gesamten Prozeß zieht. Dazu gehören äußere Sicherheit, ein soziales Netzwerk, aber auch innere Sicherheit zur traumaspezifischen Stabilisierung. In dem Prozeß wird ähnlich wie beim natürlichen Verlauf zwischen Phasen der Verarbeitung und Phasen der Stabilisierung gependelt. Wir lassen uns dabei von den Selbstheilungskräften der betroffenen Person leiten, die Frau bestimmt das Tempo selbst. Je mehr sie sich einbringt und als selbstwirksam erlebt (im Gegensatz zur traumatischen Situation, in der sie ausgeliefert war), umso besser gelingt die Traumaintegration.
Kann man ein Geburtstrauma vorbeugen? Wenn ja, wie?
Ich denke einerseits ist es wichtig, dass die Frau sich über ihre Wünsche für die Geburt bewußt ist, gleichzeitig sich aber auch mit anderen möglichen Geburtsverläufen auseinandersetzt. Denn Geburt ist größer als unsere Wünsche und Vorstellungen. Das Bewußtsein darüber, dass es möglicherweise einen anderen Verlauf nehmen kann als man sich das erhofft, ist bereits schützend.
Wissen ist ein weiterer Faktor, der ein Gefühl von Kontrolle vermitteln kann. Zum Beispiel könnte die Frau oder das Paar sich in einem Geburtsvorbereitungskurs über den Vorgang der Geburt und mögliche medizinische Interventionen informieren. Sicherlich hat es auch eine positive Wirkung, wenn die Frau sich den geplanten Geburtsort vorher ansieht, damit er ihr vertraut ist.
Ein weiterer wichtiger Schutzfaktor sind soziale Ressourcen. Vielleicht ist während der Geburt ein vertrauter Mensch anwesend, der sich ausschließlich um die gebärende Frau kümmert und ihr gegebenenfalls helfend zur Seite steht. So fühlt die Frau sich nicht allein gelassen. Mit dieser Person könnten vorab auch eventuelle Wünsche abgesprochen werden. Zum Beispiel, dass keine Untersuchung ohne die Zustimmung oder Aufklärung der Frau stattfinden. So kommt es nicht zu Übergriffigkeiten die mit Gefühlen des Ausgeliefertseins verbunden sein können.
Wie kann ich als Partner meine traumatisierte Frau unterstützen?
Ein wichtiger Aspekt der Traumaverarbeitung ist das Geschehene in die Lebensgeschichte einzuordnen. Wenn der Partner bei der Geburt anwesend war, kann er die Erinnerungen seiner Frau durch seine Beobachtungen ergänzen.
Gleichzeitig ist der Partner vielleicht selbst auch hilfsbedürftig oder mit der Situation überfordert. Dann ist es wichtig, dass er die eigenen Grenzen und die eigenen Bedürfnisse anerkennt und gut für sich selbst sorgt. Die oft heftigen Gefühle während der Traumaverarbeitung können verängstigend wirken oder überfordern. Vielleicht hilft es zu wissen, dass es meist nicht viel Worte braucht um Trost zu spenden. Oft reicht es schon aus, einfach dazusein und zuzuhören.
Das Paar könnte Verabredungen über die Dauer der Gesprächen über die Geburt treffen und anschließend noch gemeinsam etwas Schönes unternehmen. Dann werden die Ressourcen wieder gestärkt. So eine gemeinsam gemeisterte Krise kann das Paar sehr bestärken und zusammenwachsen lassen.
Wenn eine Frau große Angst vor der Geburt hat oder durch eine vorhergehende Geburt traumatisiert wurde, kann man auch im Vorfeld Techniken und Fähigkeiten erarbeiten, die sich dann unter der Geburt schützend auswirken können.
Was für Traumata können im Prozess des Elternwerdens noch auftauchen?
Für Kinder sind traumatische Erfahrungen am schlimmsten, denn sie verfügen noch nicht über die notwendigen Möglichkeiten des Schutzes und der Verarbeitung. Lang zurückliegende unverarbeitete Traumata aus der eigenen Kindheit können im Prozeß des Elternwerdens durch die eigenen Kinder getriggert werden und so wieder auftauchen. Aber auch das Elternwerden selbst kann traumatisch sein, wenn man plötzlich nicht mehr so selbstbestimmt leben kann und der Handlungsfreiraum eingeschränkt ist.
Wo liegen Die Grenzen Deiner Trauma-Therapie?
Das kommt sehr auf die Klientin an, denn die Therapie richtet sich nach ihren Wünschen, Fähigkeiten und Bedürfnissen. Aber wenn die Sicherheit der Klientin in der Therapie nicht gewährleistet ist oder ihr durch eine andere Therapieform besser geholfen werden kann, dann ist es sinnvoll über Alternativen nachzudenken.
Was möchtest Du unseren LeserInnen noch gern mit auf den Weg geben?
Ich würde mir wünschen, dass Frauen eine gesunde Balance finden zwischen den Möglichkeiten der modernen Medizin und ihrem Vertrauen in die eigenen Kräfte, Intuition und ihr Bauchgefühl.
Vielen Dank für dieses tolle Interview. Wenn ihr mehr über die Traumatherapie wissen wollt, meldet Euch gerne bei uns unter info@maternita.de oder bei Stefanie direkt. Falls ihr dazu noch nach passender Literatur sucht, können wir Euch das Buch „Es war eine schwere Geburt“ empfehlen.
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